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Predigt am 10. Sonntag im Jahreskreis B

6. Juni 2021

Evangelium: Mk 3,20-35

„Eigentlich ist Jesus ungezogen seiner Mutter Maria gegenüber.“ So ähnlich hat es kürzlich mal meine Mutter gesagt, als wir auf das heutige Evangelium zu sprechen gekommen sind.

Maria steht mit ihrer Familie draußen vor dem Haus. Sie machen sich Sorgen um Jesus, weil sie einfach nicht verstehen, was in ihn gefahren ist. All die Jahre war er zuhause in Nazareth und ist im Grunde genommen nicht aufgefallen. Nun aber laufen ihm die Menschen in Scharen nach, so dass nicht einmal Zeit zum Essen bleibt.

Und Jesus? Er fragt ganz provokativ: Wer sind denn meine Mutter und wer sind meine Brüder? Ihm geht es als allererstes nicht um leibliche Verwandtschaft, ihm ist die Seelenverwandtschaft wichtiger: „Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

Ok. Das passt ja dann wieder. Da ist Maria ganz sicher Vorbild. Denn, was sie bei der Verkündigung dem Engel geantwortet hat, das hat sie das ganze Leben durchgetragen: „Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe, wie du es gesagt hast.“ (Lk 1,38)

Nur weiß ich nicht, wie Maria damals das schroffe Wort Jesu aufgenommen hat. Meine Mutter hätte sich sicher empört, hätte ich ihr so etwas gesagt.

„Wer den Willen Gottes tut, der ist für mich Bruder und Schwester und Mutter.“

An diesem Wort müssen wir uns messen lassen, wollen wir zur Familie Jesu gehören, an diesem Wort muss sich die ganze Kirche messen lassen, will sie in der Tat die Gemeinschaft sein, die auf ihn gründet und die sich von ihm her versteht.

Lassen Sie mich auf das Rücktrittsgesuch von Kardinal Marx in München kommen. In den Kommentaren des Fernsehens wurde von einem „Beben in der Kirche“ gesprochen. Ich will mit solchen Begriffen nicht spielen, aber ich gestehe, dass mich der Schritt des Münchner Erzbischofs hat aufhorchen lassen. Ich hoffe auch, dass er tatsächlich ein Beben in unserer Kirche auslöst.

Lassen Sie mich zunächst einen kurzen Abschnitt aus dem Schreiben von Kardinal Marx an Papst Franziskus zitieren:

„Heiliger Vater,

ohne Zweifel geht die Kirche in Deutschland durch krisenhafte Zeiten. Natürlich gibt es dafür – auch über Deutschland hinaus weltweit – viele Gründe, die ich hier nicht im Einzelnen ausführen muss. … Wir sind – so mein Eindruck – an einem gewissen „toten Punkt“, der aber auch, das ist meine österliche Hoffnung, zu einem „Wendepunkt“ werden kann.“

In seinem Rücktrittsgesuch übernimmt der Kardinal Mitverantwortung für die „Katastrophe hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten.“ Er spricht von „viel persönlichem Versagen und administrativen Fehlern, aber eben auch von institutionellem oder >systemischem< Versagen“, wie er es nennt.

Mit dieser Last steht die Kirche an einem „toten Punkt“. So Kardinal Marx. Und hat er nicht Recht? Wir haben - wenn wir ehrlich sind - als Kirche in den letzten Jahren viel an Glaubwürdigkeit verloren. Drängende Themen sind überfällig. Der synodale Weg, den die Kirche in Deutschland begonnen hat, wurde auch in Rom argwöhnisch beäugt und selbst manche deutsche Bischöfe tun sich schwer, diesen so notwendigen Weg einer gemeinsamen Erneuerung mitzugehen.

In seiner Stellungnahme zum Rücktrittsgesuch von Kardinal Reinhard Marx hat der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing von Limburg, den Finger in die Wunden gelegt: Klerikalismus, sexueller Missbrauch, die noch viel zu sehr fehlende Wertschätzung der Frauen in der Kirche sind dafür nur einige Beispiele.

So viele Baustellen tun sich auf und ich frage mich, wie z.B. junge Leute damit umgehen sollen. Schauen Sie nur: Dieser Tage werden 30 Jugendliche aus unseren vier Erlenbacher Gemeinden von Weihbischof Ulrich das Sakrament der Firmung erhalten. Wo ist für sie Kirche präsent und tatsächlich lebensrelevant?

Am kommenden Wochenende werden in zwei Gottesdiensten 24 Kinder zur Erstkommunion gehen. Hat Kirche für sie und ihre Familien überhaupt einen Sitz im Leben?

Wir schenken ihnen, was uns wertvoll und wichtig ist, das Sakrament der Stärkung durch den Heiligen Geist und die Gemeinschaft mit Christus in der Heiligen Eucharistie. Ich befürchte, dass sie im Letzten aber alleine gelassen sind, gerade mit den Problemen, in die sich die Kirche verstrickt hat und mit denen sie in der Öffentlichkeit ein denkbar schlechtes Bild abgibt.

Und da hilft es auch nicht auf andere zu zeigen, weder auf den Papst, noch die Bischöfe, noch auf sonstwen. Als Menschen machen wir das ja gerne, dass wir die Schuld bei anderen suchen. Das war schon bei Adam und Eva so.

Wir haben's gerade in der Lesung gehört (Gen 3,9-15). Nachdem die Stammeltern von der verbotenen Frucht des Baumes gegessen hatten, erkannten sie, dass sie nackt waren und haben sich versteckt. Von Gott zur Rechenschaft gezogen schiebt Adam die Schuld auf seine Frau: „Sie hat mir von dem Baum gegeben.“ Und Eva schiebt die Schuld weiter: „Die Schlange hat mich verführt.“

Ein altes Spiel, die Schuld wegzuschieben, auf den anderen zu deuten. Das war bei Adam und Eva so, das ist auch heute nicht anders. Kardinal Marx zieht die Notbremse. Er will zur Verantwortung stehen, auch zu dem, was im Kirchensystem falsch läuft.

Manchen hat der Brief des Kardinals die Sprache verschlagen, andere atmen auf: Endlich ein glaubwürdiges Zeugnis von einem „Mann in Amt und Würden!“ Wunibald Müller, der ehemalige Leiter des Recollectiohauses in Münsterschwarzach, urteilt so:

„Das Rücktrittsangebot von Kardinal Marx wirkt wie Ostern. … Es lässt hoffen, dass der tote Punkt, an dem die katholische Kirche wegen der Missbrauchskrise angekommen ist, zum Wendepunkt wird.“

Ich stimme dem uneingeschränkt zu und bin dankbar für die Entscheidung des Kardinals, auch wenn damit das Dilemma der Kirche noch lange nicht überstanden ist. Aber es muss doch mal einer anfangen!

Kardinal Marx hat sich durchgerungen, zu seiner Verantwortung zu stehen – sowohl persönlich wie auch als Mann der Kirche in einem hohen Amt. Es sind ihm im letzten Jahr wohl die Augen aufgegangen. Er hat die eigene Nacktheit und die Nacktheit unserer Kirche immer deutlicher gesehen. Nun bekennt er sich dazu.

Das ist ein guter Anfang. Und es hat tatsächlich etwas mit Ostern zu tun. Dort wo die Verantwortung angenommen und die Schuld eingesehen wird, dort kann das Pflänzchen des Reiches Gottes neu aufblühen.

Es wird noch manche Anstrengung kosten, dass die Kirche – dass wir – das Vertrauen der Menschen in das Evangelium zurück gewinnen. Wie hieß es in der Lesung aus dem Buch Genesis? „Im Schweiße deines Angesichts wirst du dein Brot essen“ (Gen 319). Ohne „Schweiß und Tränen“ wird es nicht gehen. Aber es ist der einzige Weg, den zu gehen, sich lohnen wird.

  • Dann ist diese aufregende Zeit wirklich eine Zeit des Wendepunktes.
  • Dann besinnen wir uns als Kirche auf das, was tatsächlich der Wille Gottes ist.
  • Dann sind auch wir in Wahrheit Jesu Brüder, seine Schwestern, ja seine Mutter.

Darauf hoffe ich, darum bete ich. Amen.

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Bild: Martin Manigatterer In: Pfarrbriefservice.de

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